Artikel in The Violin Channel 11/2022
„Wie lautet ist Ihr bester Rat zum Umgang mit Nervosität bei Wettbewerben ?“
„Die Frage, wie man seine Nervenstärke behalten kann während der Auftritte innerhalb eines Wettbewerbs dürfte so alt sein wie die Wettbewerbe selbst. Entscheidend freilich ist zunächst die innere Einstellung, mit der man in den jeweiligen Wettbewerb einsteigt. Ich rate stets, sich möglichst frei zu machen von jeglichen kompetitiven Gedankenkonstrukten. Auf den ersten Blick mag dieser Ratschlag paradox erscheinen, geht es doch hier um Wettbewerbe, um das „concertare“, das „Wetteifern“, was ohne „Konkurrenz“ logischerweise nicht möglich wäre.
Aber es liegt auf der Hand, dass dieses Konkurrenzieren die Eigenwahrnehmung gefährlich verengen kann, da sie abhängig wird vom gesamten Umfeld. Im schlimmsten Falle wird schon jedes Mienenspiel aus der Jury gedeutet, gewertet und ziemlich konsequent gegen sich selbst angewendet, um das eigene Versagen zu prophezeien und folglich zu legitimieren…welche Nerven könnten solches Innenleben ertragen?
Rückblickend darf ich sagen, dass der Typus „Gewinner“ stets primär das eigene Tun betrachtet, somit die eigene Persönlichkeit kultiviert, lebt und ausstrahlt. „per sonare“ – dieses „Durch-Klingen“ macht eben das einzigartige, das Un-Teilbare, das individuelle Charisma aus, welches wir in der Summe als Künstlerpersönlichkeit wahrnehmen dürfen. Ein solches Individuum sieht nicht primär das Umfeld als potenzielle Bedrohung, sondern als Menschen, denen Mitteilung, ja: Botschaften wichtiger sein könnten als deren blosse Wertungen. Dann gibt man sich dem Kunstwerk hin, um es in diesem Moment weiterzugeben, zu schenken. Hierbei wird sich jede Persönlichkeit eher als „spontan beobachtend“ erleben dürfen, etwa in der Art: „Wie klingt es in diesem Raum? Wie fühlt sich die Stille in den Pausen an? Lasse ich der Musik genügend Zeit? Treffe ich die gegebene Raumakustik mit dem geeigneten Ton, Vibrato, riskiere ich eine Dynamik auch in Richtung Pianissimo, wo es das Werk ohnehin braucht, oder bin ich noch gefangen im Erwartungsdruck des sogenannten Mainstream? Was macht mein Atem gerade? Geniesse ich die Langsamkeit, die Entspanntheit meiner Lagenwechsel? Was spüre ich jetzt in meinen Füssen, im Bauch, am Kinnhalter?….“ Es gibt also so viel zu beobachten,
in solcher Fülle und Faszination, dass eigentlich die Gedanken ans Versagen gar nicht mehr so viel Raum bekommen können. Wer immer diese Glücksmomente, die im Beobachten des Hier und Jetzt auf uns warten, bereits an sich selber hat wahrnehmen dürfen, dem ist die Türe ins Glück am Podium geöffnet und wird in der Lage sein, Glück auszustrahlen und zu schenken. Dies erkennen und würdigen zu wollen ist gewiss die Grundeinstellung des Stuttgart International Violin Competition.“
Prof. Ingolf Turban, Chairman of the Stuttgart International Violin Competition